
Keine rosigen Zeiten für Anleger. Geopolitische Spannungen, Handelskrieg zwischen Supermächten, Wachstumsschwäche, Rezessionsängste und objektiv rarer gewordene Renditeaussichten an den Kapitalmärkten machen Orientierung schwer. Der wohl am weitesten verbreitete Rat: globale, breite Diversifikation. Sie halten es mehr mit der Strategie des konzentrierten Portfolios. Taugt also in Ihren Augen der Rat zu einer maximalen Diversifikation nichts?
Markus Novak, Alliance Bernstein: Das eine schließt ja das andere nicht aus. Auch wir sind der Meinung, man muss gerade in solchen Zeiten diversifizieren. Die Kernfrage lautet aber: Wie viele Titel brauche ich wirklich, um hinreichend zu diversifizieren? Und:Welche Titel in einem Portfolio haben welchen Effekt auf den Tracking Error? Es gibt nach unserer Auffassung eine Grenze, ab der es nicht mehr sinnvoll ist, weiter zu diversifizieren, weil sich die damit verbundene Absicht und die Erwartung der Risikominimierung nicht realisieren lassen im direkten Vergleich mit einem konzentrierten Portfolio – weniger vom Richtigen ist oft mehr.
Nun gibt es aber im Markt durchaus Angebote, die Diversifikation auf die Spitze treiben und in einem Fonds Tausende Titel allokieren. Und die hatten schon in den Krisenjahren nach 2008 durchaus Erfolg, hatten selbst in diesen Jahren Nettomittelzuflüsse, während die Branche kollektiv litt. Auch die Performance muss sich bis heute nicht verstecken. Die Frage bleibt also: Was denn nun? Fokussierung auf wenig oder breiteste Diversifikation?
Novak: Wir sind ein relativ großes Haus mit Assets in Höhe von fast 600 Milliarden US-Dollar, investiert in einer Vielzahl unterschiedlicher Produkte. Neben den konzentrierten Portfolien haben wir durchaus Lösungen im Haus, die sehr breit diversifiziert sind. Das heißt, wir überblicken durchaus den Horizont von konzentriert bis breitest diversifiziert. Unsere Investmentphilosophie präferiert aber den Ansatz des konzentrierten Portfolios. Mark Phelps, Chief Investment Officer und zuständig für Concentrated Global Growth, sagt immer: „Ich weiß lieber viel von wenig als wenig von viel.“ Sie haben ja gerade die Zeit unmittelbar nach der Finanzkrise angesprochen . Wir haben bei unseren Produkten einen so langen Track Record, dass wir auch mit den konzentrierten Produkten schon nachweisen können, dass sie unmittelbar nach der Finanzkrise gut gelaufen sind, also in den Jahren 2008, 2011, 2015 – den Börsenjahren, in denen es größere Verwerfungen gab.
Das heißt also, Sie sind nicht in Beweisnot, in diesen jeweils schwierigen Zeitfenstern positive Performance für Ihre konzentrierten Portfolien nachzuweisen?
Novak: Im Gegenteil! Wir haben es mit unseren konzentrierten Portfolien geschafft, die jeweilige Referenzbenchmark gerade auch in diesen Krisenjahren deutlich outzuperformen. Die Outperformance gegenüber den jeweiligen Benchmarks lag gerade in diesen Krisenjahren in der Größenordnung von 3 % bis 4,5 % in dem jeweiligen Jahr. Viele Anleger haben ja immer so ein Bauchgefühl. wenn sie „konzentriertes Portfolio“ hören: In positiven Märkten laufen die meistens besser als der Markt, mit dem Umkehrschluss, wenn es mal nach unten geht, verlieren diese stärker. Gerade Letzteres ist nicht der Fall. Konzentrierte Portfolien haben gerade in den Abwärtsphasen eine große Stärke bewiesen. Das können wir tatsächlich in Zahlen nachweisen.
Dann lassen Sie uns darüber sprechen, was ein konzentriertes Portfolio als Investmentstrategie wirklich ist und wie man überhaupt mit wenigen Einzeltiteln eine globale Diversifikation, deren Notwendigkeit ja unbestritten ist, darstellen kann.
Novak: Es gibt wissenschaftliche Untersuchungen darüber, wieviele Titel man tatsächlich in einem Portfolio benötigt, um wirkungsvoll breit zu streuen. Ergebnis: In der Größenordnung von 20 bis ungefähr 35,40 Titel finden Sie in aller Regel die ideale Kombination für eine wirkungsvolle Diversifikation.Wenn Sie 100 oder mehr Titel allokieren, ist der Einfluss dieser größeren Diversifikation auf den Tracking Error nicht mehr signifikant und maßgebend. Also reicht eine kleinere Anzahl an Titeln tatsächlich, um eine ausreichende Streuung zu bekommen – an Sektoren, an Ländern, an einzelnen Branchen oder entsprechenden Subbranchen. Also, man spricht generell von konzentrierten Portfolien, wenn sie unter 50 Titel beinhalten, unser globales Portfolio
beinhaltet aktuell 33 Titel. Es gibt auch vergleichende Untersuchungen, wie konzentrierte Portfolien in steigenden wie in fallenden Marktphasen generell reagiert haben. Danach haben sich Portfolien mit einer Titelanzahl von weniger als 50 im Vergleich mit größeren Portfolien oder sogar mit passiven Instrumenten in den Aufwärtsphasen einen Tick besser entwickelt und in den Abwärtsphasen waren sie deutlich robuster. Aber es ist nicht allein die Konzentration per se. Es kommt auch auf das WAS, die Selektion an.

Wie gelingt es Ihnen denn, bei einem so eng selektierten Universum spezifische Themen abzubilden wie zum Beispiel unumkehrbare Megatrends, Demografie und Infrastruktur oder das Thema Digitalisierung? Findet man das in einem konzentrierten Portfolio auch, gibt es dafür Raum?
Novak: Ja, es gibt dafür Raum.Wenn wir unser globales konzentriertes Portfolio anschauen, werden Sie feststellen: Wir haben ungefähr zu 25 %im weitesten Sinne Technologie mit allen Subbranchen darin. Im Technologie- und auch im Pharmabereich fangen Sie durchaus viele dieser Megatrends und Megathemen ein, weil sie diese Branchen treiben. Der entscheidende Aspekt ist aber ein anderer: Wir kaufen nur Titel, bei denen wir der Meinung sind, die werden in einem Zeitraum der nächsten fünf Jahre ein Mindestgewinnwachstum von 10 % pro Jahr haben.
Also, wir schauen auf das Umsatzwachstum, aber auch sehr stark auf das Gewinnwachstum. Wir schließen irrationale Kurs-Gewinn-Verhältnisse, wie man sie zuhauf vor der Finanzkrise gesehen hat – hohe Kurse, kein Gewinn, aber Trendtitel- konsequent aus.
Dann beschreiben Sie uns doch mal kurz Ihren Analyse- und Investmentprozess auf dem Weg zu einem konzentrierten Portfolio?
Novak: Wir sind der Überzeugung, dass nachhaltiges Gewinnwachstum über viele Jahre – also wirklich über einen langen Zeitraum – dann auch zu nachhaltig besserer Performance führt. Wir haben in unserem Investmentprozess einen vierstufigen Selektionsfilter. Aus einem großen Universum – wir sprechen hier von ungefähr 2.500 Titeln, die uns zur Verfügung stehen – selektieren wir zunächst quantitativ nach der Marktkapitalisierung, z.B. bei unserem globalen Produkt betrachten wir nur Titel mit einer Mindestgröße von 2 Mrd. Marktkapitalisierung. Dann schauen wir
uns das Gewinnwachstum an. Haben die es tatsächlich geschafft, ein Gewinnwachstum zu erzielen von mehr als 10 %p. a.? Dann schauen wir auch auf Faktoren wie Return on Investment. In dieser ersten Stufe reduzieren wir das Universum auf ca. 250 Titel. Dann gehen wir etwas mehr in die Tiefe der betriebswirtschaftlichen und bilanziellen Analyse, berücksichtigen auch ESG-Faktoren . Am Ende des Tages reduzieren wir auf ca. 100 bis 110 Titel für die dritte Selektionsstufe. Für diese 100 bis 110 machen wir seit vielen Jahren – konzentrierte Portfolien gibt es bei uns schon seit 1975 – für jeden einzelnen Titel eine fünfjährige Gewinnprognose. Die Maßgabe ist: mindestens 10 %Gewinnwachstum pro Jahr. Wir ermitteln somit einen Gewinn der Aktie von heute an gerechnet im Jahr 2025. Dann fragen wir uns: Was trauen wir denn dem Titel an GKV zu? Dabei haben wir eine Bandbreite von 80 bis 200 %. Diese Prognosen verkleinern ein weiteres Mal das Anlageuniversum. Und nun kommt die vierte Selektionsstufe: Wir haben die KGV- und Gewinnprognosen im 5-Jahres Horizont. Über einen einfachen Dreisatz lässt sich dann der Kurs in z. B. 2025 ermitteln. Den zinsen wir ab auf das heutige Niveau und erhalten damit einen „fairen Wert“ für diesen Titel aus heutiger Sicht, den wir mit dem aktuellen Börsenkurs vergleichen. Wenn der „faire Wert“ über dem aktuellen Kurs liegt, ist der Titel für uns grundsätzlich interessant. Und dann kommen die ins Portfolio, die die billigsten, also offensichtlich aktuell unterbewertet sind. Bei mehreren Titeln aus einer Branche entscheiden wir uns für einen, maximal zwei, die in Summe die beste Prognose haben. Dieser Prozess ist über die Jahre unverändert, d.h. die Performance ist immer nur so gut wie es unser Analyseprozess über die letzten 35 Jahre war. Das klingt eigentlich einfach, man sagt immer, das kann jeder nachbilden, aber die Qualität, die den Unterschied macht, liegt in den Analyse- und Research-Teams, die für die Gewinnprognose verantwortlich sind. Und da gibt uns der Erfolg recht.
Welches der Selektionskriterien ist am Ende der wesentliche Performancetreiber in Ihrem Konzept?
Novak: Der wesentliche Performancetreiber ist das Gewinnwachstum. Es gibt übrigens dazu eine interessante Studie. Die nach Marktkapitalisierung größten 1.000 Unternehmen wurden danach untersucht. welche es über die letzten 20 Jahre geschafft. haben, über 1,3 und 5 Jahre rollierend tatsächlich 10 % Gewinnwachstum zu realisieren, und es wurde festgestellt dass das Gewinnwachstum nicht nur der Treiber für dieWertentwicklung war, sondern die Outperformance dieser Titel bei durchschnittlich 2,8 % lag. Und das ist übrigens genau die Outperformance, die das Concentrated Global Equity Portfolio unseres Hauses über die letzten Jahre zum Index erzielt hat Das eine ist die Theorie, das andere ist die Realität.
Fonds werden für Investoren gemacht. Wer ist der typische Anleger für Ihre Philosophie des konzentrierten Portfolios?
Novak: Das Konzept eignet sich natürlich eher für Leute, die sagen: „Ich suche ein langfristiges Aktieninvestment, bin möglichst hoch investiert, d.h., meine Cashquoten liegen irgendwo zwischen 3 und 4 %“. Also Privatanleger, die langfristig investiert sein und den Index schlagen wollen. Es eignet sich sowohl für Sparer mit Einmalanlagen, aber genauso für jegliche Art von Sparplänen – jedenfalls mit dem längeren Anlagehorizont. Es gibt da auch nicht unbedingt die Frage des „richtigen“ Timings. Also, wenn wir gefragt werden: „Wann ist denn der richtige Zeitpunkt, so ein Produkt zu kaufen?“, sagen wir: Es gibt eigentlich kein Timing, weil wir ja immer auf dieses Thema des Gewinnwachstums der nächsten fünf Jahre sehen. Also, der Einstiegszeitraum ist eigenthch immer der richtige.
Sie nannten das Stichwort schon: ESG. Wie definieren Sie ESG im Hier und Heute und bilden es in Ihrem Konzept ab? Und könnte es sein, dass gerade für ein konzentriertes Portfolio künftig zu wenige die Performance treibende Adressen übrigbleiben? Haben Sie da Zuversicht oder sind Sie da eher nervös?
Novak: Für uns ist das kein Modethema und wir sind auch nicht nervös. ESG ist in vielen unserer Produkte schon lange enthalten, auch wenn sie per Definition keine sustainable Produkte sind.Das Concentrated Global Equity Portfolio ist ein ganz normaler Long Only-Aktienfonds, beinhaltet aber tatsächlich ESG-Kriterien. Wir haben schon immer Ausschlusskriterien: Rüstungsgüter, Kohlebergbau, fossile Brennstoffe, Tabak. Das ist per Prospekt ausgeschlossen. Und wir berücksichtigen schon heute weitere ESG-Faktoren, zum Beispiel über MSCI oder Sustainalytics, als Teil unseres Selektionsprozesses und harte Ausschlusskriterien,wenn wir von 250 Titeln auf ca. 100 runtergehen. Außerdem: Das Kriterium 10%iges Gewinnwachstum schließt teilweise Branchen wie die Schwerindustrie aus. Wir halten de facto auch keine Öltitel – nicht,weil wir es per Prospekt ausgeschlossen haben, sondern über das Thema. Wir sehen ESG sogar eher als Performancetreiber, denn es dient der Risikovermeidung. Genügend Titel zu finden – kein Problem! Im Gegenteil: Wir zeigen bei den Titeln, die wir selektieren, sogar auf, wie die Ziele für nachhaltige Entwicklung der Vereinten Nationen positive Effekte erzielt haben in einzelnen Unternehmen. Wir zeigen auf. wie der CO2-Footprint innerhalb des Portfolios und der ist de facto besser als der vergleichbare Index – deutlich besser. Also, ESG ist für uns ein ganz wichtiger Faktor und seit Langem fest verankert.
Herr Novak wir danken für das Gespräch.